19. Dezember
Begegnung im Wald
Der sogenannte "heilige Abend steht vor der Tür" (immer und überall lese und höre ich die selben Redewendungen, so ein Quatsch, das muss man sich mal bildlich vorstellen!), so ein Getue und Gemache, irgendwie ist das nicht so mein Ding.
Meinen Kindern geht es gut, sie sind bei den Großeltern, so wie sie es wollen, das ist die Hauptsache, und nun könnt ihr mich alle mal, denke ich mir, jetzt will ich einfach nur noch meine Ruhe haben, und ich gehe in den Wald, in meinen Lieblingswald.
Es ist ein recht milder Abend, nicht besonders warm (ja wie auch, im Winter!), aber auch nicht so kalt, dass es weh tut nach wenigen Stunden, draußen zu sein. Ich gehe in den Wald hinein, ohne wirkliches Ziel, einfach nur so, ich lass mich treiben, die Wege sind trocken und gelegentlich weht ein laues Lüftchen.
'Endlich allein.', sind die einzigen Gedanken, die ich in dem Moment habe.
Ich beginne mich zu entspannen, ich starre in die Dunkelheit (da konnte ich schon immer gut sehen), der Geruch des Waldes ist ein Genuss für mich, lange, bis...
...bis ich in der Ferne so ein undeutliches Geklapper höre.
Ich bleibe sofort stehen. Nein, ich habe keine Angst, aber mal ehrlich: Wer ist denn in DER Nacht abends noch unterwegs? Die Leute sitzen doch alle in ihren warmen Stuben und hauen sich die Wänste voll und freuen sich ehrlich oder verlogen über irgendwelche Geschenke!
Das Geklapper kommt näher, ein leicht zitterndes Geflacker kann ich erkennen, es leuchtet eher nicht, als dass ich sagen kann, da hinten brennt ein Licht.
Plötzlich macht es "bing" in meinem schönen Kopf: Das ist ein Fahrrad!
Um DIE Zeit? In DER Nacht? An DEM Ort? Wer macht denn so was?
Das kann doch gar nicht sein! Ist das etwa...? Nein! Kinderkram! Nie im Leben. Aus dem Alter bin ich doch raus.
Das klapprige Etwas von Fahrrad mit einem menschlichen Wesen dazu, das kann ich nun deutlich erkennen, kommt näher, ich frage mich noch: 'Mensch, Wölfin, was stehst du hier so wie versteinert rum, du hoffst wohl auf ein Wunder?'
Die sich nur langsam drehenden Rädchen in meinem Gehirn versuchen die Lage zu erfassen...
...da macht es auch schon pling und schepper und klapper und bumm.
Ach nee, der arme Kerl, der muss den Stein dort nicht gesehen haben!
Die Mondin steht nun so zwischen den Bäumen, dass sie ein zartes Licht auf die Stelle wirft, ich kann Mann und Rad und Sack sehen.
Ich gehe hin, schnell, ich renne mehr: 'Vielleicht ist er verletzt?', frage ich mich.
Im selben Moment, als ich nach seinem Arm greife, erkenne ich deutlich seinen Mantel und muss ein wenig lachen.
"Na, Weihnachtsmann, geht's? Kannst du aufstehen?"
Geschmeidig stellt er sich hin und steht nun neben mir. Ein großer Mann!
Ich schaue auf das auf dem Boden liegende alte Fahrrad: "Oh, ich glaube, der Lenker ist verdreht.", und hab schon zugegriffen, da liegen plötzlich seine Hände auf den Meinen und er haucht mir in's Ohr: "Lass, ich mach das schon."
Seine tiefe Stimme durchfährt mich wie der Blitz, mir wird heiß und kalt zugleich, ich glaube, dieses Phänomen heißt Erregung. 'Bin ich eigentlich noch zu retten, was ist hier los?', rufe ich stumm in mich hinein.
Ich richte mich auf, sehe den Sack auf dem Weg liegen, der kommt mir gerade Recht, denn er reißt mich aus meiner Verlegenheit heraus.
Ich gehe um das Rad, bücke mich, greife nach dem oberen Rand des großen Jute-Sackes, um ihn aufzuheben, und werfe so einen unfreiwilligen Blick hinein!
Na so was! Ich traue meinen Augen kaum! Ich starre hinein, ich kann gar nicht anders. Das gibt es doch nicht!
Gerte, Peitschen, Flogger, Paddel, Ketten, breite Lederbänder mit Karabiner dran...
und dazwischen liegt ein kleines Päckchen, eingewickelt in silbriges Papier.
Mein Kopf dreht sich langsam zu dem Mann:
"Du bist gar nicht der Weihnachtsmann.", spreche ich leise zu ihm.
Er geht langsam um das Rad, ich bin wie gelähmt, er nimmt meine Hände und flüstert: "Doch, ich bin dein persönlicher Weihnachtsmann, und ich habe auch ein Geschenk für dich."
Er greift in den Sack und gibt mir das kleine silbrige Päckchen: "Das ist für dich."
"Wie bitte? Nicht wirklich!"
"Doch, mach auf."
Ich entferne das Papier, denke noch: 'Oh Hilfe, ist das romantisch, mitten im Wald, im Mondlicht.' und öffne langsam die kleine Kiste.
Oh Gott!
Ein Nadelrad!
Ich sehe ihn an: "Woher hast du das gewusst?"
"Ich bin der Weihnachtsmann, meine Schöne."
"Quatsch."
"Doch, ich gehe oder fahre jedes Jahr hier lang, aber noch nie ist mir so ein Engel begegnet wie du."
Stille.
"Und nun bist du dran!"
Er greift mir in's Genick, mir wird heiß, ich stöhne, schmeiße meinen Kopf hin und her...
...reiße die Augen auf, schnappe heftig nach Luft, schaue mich um und ein Blick auf den Wecker verrät mir:
Verdammt, verschlafen, ich muss zum Bus, ganz schnell, meinen Weihnachtsbesuch abholen, ich will ihn nicht warten lassen!