Hauptsache, die Stiefel anlassen
Die Geschichte an sich ist ja schon ziemlich . . . Also ich weiß nicht, ob mich dafür nicht sogar schämen soll. Andererseits ist sie auch witzig. Sehr witzig. Am witzigsten ist es, sie mit Absicht zu erzählen. Dabei das wegzulassen, was irgendwie stören würde, was sie unnötig lang werden lassen würde. Anderswo etwas hinzufügen, damit sie interessanter wird . . . und das witzigste: sie mit Absicht zu erzählen, so wie ich es mit Bettina getan habe.
Sie ist eine Freundin von Hanne, die ich inzwischen als meine beste Freundin bezeichnen darf. Bettina arbeitet im Ministerium in hoher Position und das ließ sie mir, der billigen Bedienung gegenüber, meilenweit raushängen. Natürlich darf sie darauf stolz sein. Aber sie braucht sich nichts darauf einzubilden. Und mich herablassend zu behandeln . . .? Das wollen wir doch mal sehen.
Und wie sie da so vor mir saß und von ihren Internet-Bekanntschaften sprach, alles Professoren und Künstler und überhaupt, klimper, klimper, (mit den Wimpern). Schließlich ist sie was Besseres. Da konnte ich nicht anders. Es ging nicht. Der Teufel ritt mich oder was weiß ich. Ich habe einen Flunsch gezogen und die Augen zu Schlitzen verengt. „Und was ist mit Sex?“ habe ich sie gefragt. Daraufhin hat sie noch viel heftiger geklimpert. Und doppelt so lange wie die vorher. Aber erst, nachdem sie ziemlich blöd geguckt hat.
Das habe ich an sich schon genossen. Als sie dann anfing, herumzudrucksen, habe ich sie unterbrochen. Wer wollte den Schwachsinn, der jetzt hätte kommen müssen, wirklich hören? „Also mir ist Sex ziemlich wichtig“, habe ich ihr gesagt. Punkt. Sie hat den Kopf gesenkt und auf die Tischplatte gesehen. „Deswegen komme ich immer ziemlich schnell zur Sache. Denn wenn er im Bett nicht gut ist, kann er der Kaiser von China sein oder sonst was. Er käme einfach nicht in Frage.“
Und dann erzählte ich ihr von meinem Auftritt beim Biker-Treffen. Lauter harte Jungs auf Harleys, in Lederklamotten und jenen runden Stickemblemen auf dem Rücken, die sie Back-Patches nennen und so etwas wie der Mitgliedsausweis für manchmal halb-kriminelle Vereinigungen ist. Die zumindest ziemlich straff organisiert sind.
Also alle voll cool und da wollte ich nicht in meiner Textil-Regenhose mit den vielen Protektoren hinfahren, die doch irgendwie schwul ist. Und überhaupt zu warm, wenn man mitfeiert. Wozu ich herzlich eingeladen war. „Trinkt ihr nur Dosenbier oder auch Sekt“ hatte ich ihnen gesimst. „Fassbier“, kam zurück. Ich wieder: „Schade eigentlich“ und bekam die Antwort: „Wir stellen eine Flasche für Dich kalt.“ Leder besitze ich nicht und ich mag es auch nicht. Es verliert so schnell seine Form, wenn man damit auf dem Mopped sitzt, und ist dann alles andere als knackig. Außerdem: Wenn Leder, dann ist so eine Biker-Kluft schon das coolste. Alles andere wäre nur nachgemacht. Anbiederung. Und wer will das schon.
Schließlich habe ich meine alten Reitstiefel raus gekramt und geputzt und dann zum hochgeschlossenen schwarzen Oberteil einen nicht ganz knielangen schwarzen Rock angezogen. Und halterlose Strümpfe. Und so aufs Mopped. War eine ziemlich gute Nummer. Mit Rock auf dem Motorrad, das hat für Aufsehen gesorgt. Auch wenn zunächst niemand die halterlosen Strümpfe bemerkt hat.
Es hat natürlich nicht lange gedauert, bis sich der richtige Vogel fand. Wir haben so gut getanzt. Richtig klasse. Am liebsten hätten wir uns schon auf der Tanzfläche im Festzelt vernascht, aber dann sind wir doch lieber auf den angrenzenden Fußballplatz gegangen. Mitten drauf. Das Flutlicht war zwar nicht an, aber die Beleuchtung der Westtribüne schickte schräge Strahlen über den Rasen und machte lange schmale Schatten aus unseren Körpern. Sie war an, damit die Leute vom Festplatz den Weg auf die Stadionklos fanden. Ob uns jemand mitten auf dem Spielfeld bemerkt hat oder nicht, war uns egal, verursachte vielleicht sogar einen gewissen Kitzel. Jedenfalls hat uns niemand gestört. Es nieselte leicht. Die kleinen Halme vom letzten Schnitt waren nicht vollständig herunter gerecht, aber ganz frisch in der Feuchte und klebten anschließend auf den nackten Stellen der Haut.
„Später stellte sich heraus, dass er LKW-Fahrer war. Und Porno-Darsteller“, beendetet ich meine Erzählung. „Egal. Hauptsache, die Stiefel anlassen können.“ Betreten schweigend senkte Bettina den Blick noch tiefer, von der Tischplatte auf ihre Füße. Hanne holte schnell Wein aus dem Kühlschrank, schenkte nach, fing an, das Abendessen vorzubereiten. „Was machen Deine Hunde“, fragte sie schnell in die Stille hinein, damit die nicht allzu peinlich wurde. Jetzt, konnte Bettina mitreden, sie erzählte von ihren Tieren, blühte auf. Dem Trockenpflaumenstadium wird sie wahrscheinlich trotzdem nie im Leben entrinnen. Aber sie bildet sich nichts mehr darauf ein.