Besondere U- Bahn- Begegnungen
Es war noch früh am Morgen und ich bereits in mein Buch vertieft, als die U- Bahn endlich anfuhr.
Sie wird den Endbahnhof verlassen und mich an das andere Ende der Stadt bringen.
Für gewöhnlich sitze ich im gleichen Waggon, wie viele andere auch.
Es sind immer die gleichen Gesichter.
Da war dieser alt- 68er mit seinem dünnen ergrauten Haar, das er mit einem Gummiband zum Zopf gebunden trug.
In der Regel trug er verwaschene Jeans - ziemlich abgeranzt, so mit ausgefranstem Saum und aufgescheuerten Nähten.
Seine T- Shirts und Pullis hatten immer irgendwo mindestens ein Loch und mussten auch schon Jahrzehnte alt sein.
Der coffee- to- go in seiner Hand stand im krassen Gegensatz zu seinem alternativ anmutenden Kleidungsstil.
Der Herr im Anzug, der sich immer in den „Tagesspiegel“ vertiefte, scheint wohl ein hohes Tier zu sein, vielleicht in einer Bank oder einer Behörde.
Er schlägt immer das rechte über das linke Bein, nie anders herum.
Vermutlich ist er Linksträger.
Bis er aussteigt schaut er nie von seiner Zeitung hoch.
Er blickte selbst dann nicht auf, wenn es ausnahmsweise etwas tumultig werden sollte.
Manchmal ist da dieser junge Gruffti - so nennt man glaube die Stilrichtung in der er sich kleidet - der setzt sich immer in die gleiche Ecke.
Sieht finster aus, ist aber anscheinend ganz harmlos.
Vollkommen in schwarz gekleidet .
Langes, schwarz gefärbtes Haar und ich weiß, dass er sie sich färbt.
Es kommt schon mal vor, dass man den helleren Haaransatz sieht.
Der liest ausschließlich dicke Fantasy- Romane in Papierform.
Dazu hat er Stöpsel in den Ohren und lässt sich von Heavy Metall beschallen.
Die sehr gepflegte, ältere Dame nicht zu vergessen.
Sie müsste längst in Rente sein.
Ich hab keine Ahnung, warum sie schon so früh unterwegs ist.
Sie trägt immer Kostüm, feine Strumpfhosen zu jeder Jahreszeit und geschlossene flache Schuhe.
Ihre Sitzhaltung ist kerzengerade, die Beine eng zusammen und die Handtasche auf den Schoss gestellt.
Geschickt hält sie die Henkel ihrer Tasche und ihr Buch gleichzeitig fest.
In welche Literatur sie vertieft ist, das ist schwer zu sagen.
Die Bücher, die sie liest, hat sie in Zeitungspapier eingewickelt.
Ach ja, der mit dem Sudoku, den hätte ich jetzt fast vergessen.
Er müsste mein Jahrgang sein, denke ich.
Kurzgeschnittene, leicht ergraute blonde Haare.
Er trägt Jeans, Hemd aber ohne Krawatte und Slipper.
So lange ich mich erinnern kann, rätselt er in Sudokuheften.
Seit einiger Zeit nimmt er dazu sein tablet.
Schwer zu sagen, was er beruflich machen könnte.
Gelegentlich verirren sich Handwerker in den Waggon.
Ich bin ja nicht voreingenommen.
Aber merkwürdig, wie sich Klischees bestätigen.
Es sind verschiedene Personen.
Aber alle haben flüssiges Brot in der Hand und ziehen eine mächtige Fahne hinter sich her.
Und das auf meinen nüchternen Magen.
Als sich die U- Bahn endlich in Bewegung setzte, schaute ich von meinem Büchlein auf und warf einen Rundumblick durch den Waggon.
Da erblickte ich sie, sie hatte ich noch nie gesehen und sie hatte schräg gegenüber von mir Platz genommen.
Interessiert und neugierig sah ich sie mir von oben bis unten an.
Sie hatte kurzgeschnittene schwarze Locken, die ihr Gesicht schmeichelnd einrahmten und bei jedem Schuckeln und Ruckeln der U- Bahn wippten.
Hinter der schwarzgeränderten Brille funkelten mich ihre dunkelbraunen Augen keck an.
Sie hatte volle, geschwungene Lippen, ihre Mundwinkel zogen sich zu einem reizendem Lächeln nach oben.
Um den Hals trug sie eine goldfarbene Kette mit einem Glasstein, der farblich auf ihr restliches Outfit abgestimmt war.
Sie trug eine tiefausgeschnittene weiße Bluse mit Rüschen aber die der feinen dezenten Art, nicht dieses extrem auffällige Gerüsche.
Darüber einen Blazer in einem tiefem Dunkelblau mit einem einzigen goldenen Knopf, den sie unterhalb ihres wohlgeformten Busen geschlossen hatte.
Der Rock war passend zum Blazer und endete oberhalb des Knies, wobei er jetzt im Sitzen etwas nach oben gerutscht war.
Sie hatte sonnengebräunte unbestrumpfte lange Beine, die in 10- cm- Pumps steckten.
Schuhe und Handtasche hatten die gleiche Farbe und ergänzten sich hinreißend zu ihrem Kostüm.
Ich schaute aus dem Fenster, aber irgendwas hatte mich in den Bann gezogen und ich musste erneut zu ihr herüber schauen.
Unsere Blicke trafen sich erneut, wie zufällig.
Ein Moment, der mich durchfuhr.
Offen, zugewandt und zugleich unsere Blicke, die aushalten konnten.
Meine Nackenhaare stellten sich auf und ich verspürte einen Schauer.
Mein Herz begann heftig und wild zu schlagen.
Ich vernahm ein Flattern in meinem Bauch.
Spürte schlagartig diese kribbelnde Wärme in meinem Schritt.
Fühlte, wie aufsteigende Schamesröte von mir Besitz ergriff.
Ich versuchte, ihrem Blick stand zu halten.
Doch es ging einfach nicht.
Die Erregung, die sie in mir hervorrief, machte mich unruhig.
Ich musste für einen Moment die Augen schließen.
Einige Züge atmete ich tief und ruhig.
Als die Röte von mir gewichen war, öffnete ich langsam meine Augen.
Vorsichtig und aus dem Augenwinkel suchte ich nach ihr.
Doch sie saß nicht mehr dort.
Ich schaute von einer Tür zur anderen.
Doch auch dort konnte ich sie nicht entdecken.
In der Zeit, in der ich die Augen geschlossen hatte, gab es keinen Halt der U- Bahn.
Das typische Tuten der sich schließenden Türen drang plötzlich in mein Ohr.
Der Zug nahm ruckelnd und zuckelnd die Fahrt auf.
Ich war irritiert.
Das ist jetzt nun schon Monate her.
Und ich habe sie nie wieder gesehen.
Habe ich das alles nur geträumt?
© majberlin im September 2013
ursprünglich gepostet:
Gedichte und Lyrik: Besondere U- Bahn- Begegnungen