Vampirorgien: Herbst (Teil 33)
Kapitel 33: Morgen-Grauen
Auch die längste aller Nächte kommt irgendwann an ihrem Ende an, wenn es schon mal eine blutrot-dämmrige Vorschau auf den anbrechenden Tag am Horizont zu bestaunen gibt - auch wenn keiner der noch menschlichen Anwesenden auf dem Anwesen der von Rosendorns damit gerechnet hätte…
Vier Überlebende sprinteten durch den watteweißen Nebel über den taufeuchten, perfekt gestutzten Rasen Richtung Parkausgang… Jeder von ihnen fühlte sich auf seine Art wie betäubt und ein Beobachter hätte sicher bemerkt, dass sich hier nur Körper völlig losgelöst von ihren Seelen voran bewegten; die Seelen waren derweil bereits um innere Schadensbegrenzung bemüht..
Kein Wachhund schlug an, nicht einmal die überproportionierten pechschwarzen Krähen, die den Park überbevölkerten, waren in irgendeiner Form zu vernehmen- kein Flügelschlag, kein kehliges Totenchorkrächzen.
Lilli zog den halb weggetretenen Manuel hinter sich her, der unablässig zurück zum Schloss blickte, seinen Kopf dabei schräg zur Seite gelegt, als würde er angestrengt einer immer ferner werdenden Stimme zu lauschen versuchen, die nur er vernehmen konnte…
Agnes trug immer noch die kleine Viola über der Schulter- und auch wenn sie sichtlich körperlichen Anstrengungen durch gesunde Ernährung und vielseitiges Sporttraining gewachsen war… es war nur eine Frage der Zeit, bis ihre Füße unter ihr nachgeben und sie mit ihrer Last zu Boden stürzen würde…
-„Immer nur nach vorne, immer nur geradeaus!“, hörte Lilli sich im Geiste selbst anfeuern und dachte zwischenzeitlich, dass mal jemand in ihr doch bitte eine andere Platte auflegen könnte… aber dafür war sie einfach viel zu kaputt…
Sie würden sich die Fähre krallen, mit der sie auf die Insel gebracht worden waren – und dann sofort die Polizei in der nächsten Stadt aus ihrem Dornröschenschlaf aufscheuchen...
Jemand musste sich um diese Insel kümmern und dem Graf und seiner Gattin das Handwerk legen…
-„Halt! Stehenbleiben!“, vernahm sie plötzlich wie durch einen schwammigen Geräuscheschleier die Stimme ihrer geliebten Agnes- und wirbelte auf dem Absatz herum- nur um im nächsten Moment Manuels Hand mit einem spitzen Aufschrei loszulassen und fassungslos auf ihre Detektivkollegin und die gnädigerweise immer noch weggetretene Viola zu blicken, aus deren Körpern im zunehmenden Masse dunkle, Rauchwolken aufzusteigen begannen…
-„Ich habe es geahnt…“, Agnes blickte ihre qualmenden Hände an als gehörten sie nicht zu ihr, „Lauf weg, meine liebe Lilli! Viola und ich werden gleich in der Morgensonne vergehen… und das musst du nicht sehen, meine Süße! Bring Manuel in Sicherheit. Hol dir Verstärkung… Lebe… Liebe….“
Mit bebenden Lippen hauchte Lilli ihrer Agnes einen Kuss auf die Lippen, bevor sich diese bereits in knisterndes Pergament verwandelt hatten…
So Vieles hätte sie jetzt sagen wollen… aber alles kam ihr nur total banal vor…
Und so ließ sie ihren Tränen freien Lauf, als sie sich wieder des total passiven Manuels annahm und ihn zu der Ablegestelle und der Fähre mitzog, während ihre große Liebe und Viola in den ersten Sonnenstrahlen zu Staub zerfielen und von einer leichten Morgenbrise über den Rasen verteilt wurden.
-„Manuel!“, hörte der Junge Lydias Stimme in sich wiederhallen- diesmal wieder so klar wie in der Folterkammer,“ Du gehst nicht! Du gehörst zu mir- für immer….“
Ihm blieb allerdings keine Zeit über dieses eindeutige Angebot großartig nachzusinnen, weil Lilli die Faxen inzwischen dicke hatte und ihm mit einen gezielten Handkantenschlag vorsorglich ins Reich der Träume schickte.
Die paar Meter zur Fähre würde sie ihn schon schleifen können…
Eine Viertelstunde später tuckerten sie bereits in den angebrochenen Tag.
Die Sonne brachten die um die Fähre wogenden und aufspritzenden Wellen zum Glitzern… doch Lilli hatte kein Auge dafür…
Ihr war es nur wichtig, dass sie sich mit jedem weiteren zurückgelegten Meter weiter von der Insel des Grauens entfernten…