Als ich sie küsse, läuft es mir heiß den Rücken herunter.
Ich betrachte sie, glaube ich, ein wenig zu intensiv, und sie erwischt mich dabei.
Auf der einen Seite ist es mir peinlich, auf der anderen Seite soll sie ruhig mitbekommen, dass ich sie begehre.
Ihr Duft, ihr Haar, ihre Brüste - alles nah und so verführerisch.
Ich muss mich sehr beherrschen, aber die Stimme der Vernunft gewinnt noch einmal die Oberhand.
Wie lange ich ihr widerstehen kann, weiß ich nicht. Ihre Nähe raubt mir meine Konzentration, und alles dreht sich nur um sie.
Nach dieser gefühlten Ewigkeit, in der ich sie behutsam küsste und dem Spieltrieb meiner Lippen Einhalt gebot, lösen wir uns voneinander.
Sie lächelt mich an und sagt mit fester Stimme: „Du hast verloren.“
Ich bin völlig durcheinander. Ich hatte doch fast unser Spiel vergessen.
Halb abwesend und vom Kuss benommen greife ich in die Innentasche des Jackets, hole mein Portemonnaie heraus und lege ihr - die Preise der Bahn kennend - einen Fünfziger auf die mir dargebotene Handfläche.
Meine Finger streifen dabei an ihren entlang und lassen mich ahnen, wie geschickt sie sind.
Während ich versuche, mich zu sammeln, höre ich, dass ich ins Abteil gehen und dort warten soll, wenn ich nicht mit ihr gesehen werden will.
´Du Idiot! Du hast doch die Spielregeln selbst aufgestellt“, denke ich und akzeptiere ihre „Strafe“.
´Na warte´, denke ich mir aber, als ich mich umdrehe und mich betont langsam auf den Weg zurück mache, damit sie auch ja die Möglichkeit hat, mich von hinten zu sehen.
Ihren Blick mehr erahnend als spürend, verlasse ich den Schlafwagen und laufe schnurstracks zum Schaffnerabteil, das gleich im nächsten Waggon zu finden ist.
Eine großbusige Blonde lächelt mich an, als ich höflich an ihre Tür klopfe.
Sie öffnet das Abteil und fragt freundlich: „Was kann ICH denn für sie tun?“
Habe ich mich da gerade verhört, oder war das 'ich' zu sehr betont?
Ich ignoriere es und komme gleich zur Sache.
„Ich habe ein Problem. Meine Bekannte und ich haben in der nächsten Stadt, die der Zug erreicht, einen Termin in einer Tanzschule. Wir haben es leider nicht geschafft, uns entsprechend anzuziehen und würden jetzt einen Platz benötigen, an dem wir unsere Sachen wechseln können. Ich habe im Schlafwagen gesehen, dass Abteil 27 nicht belegt ist. Können Sie da etwas für uns tun?“
´Wow!´ Wie bin ich stolz auf mich! So dick gelogen habe ich lange nicht. Hoffentlich geht sie darauf ein.
Nach einem Zögern, welches sie dazu nutzt, durch meine Augen in meine Seele zu schauen, beginnt sie zu lächeln, greift hinter sich und gibt mir den Abteilschlüssel.
Frech grinsend sagt sie nur: „Viel Spaß...“, und fügt flüsternd hinzu: „Mal sehen, was ich noch für Sie tun kann.“
Ihre wissenden Blicke machen mich kurz verlegen.
Doch nun kann ich getrost zurücklaufen, denn ich habe, was ich bekommen wollte:
ein abschließbares Abteil!
Ich schließe auf und öffne das Fenster.
Warum muss so ein Raum immer so riechen, ärgere ich mich.
Aber froh, jetzt hier warten zu können, mache ich es mir ein wenig bequem und setze mich an den kleinen Tisch, der vor dem Milchglasfenster angebracht ist.
Ich lockere den Schlipsknoten noch ein wenig weiter, und den obersten Knopf des Hemdes öffne ich auch.
So passt es besser zu einem Kuss, denke ich bei mir und stelle mir vor, wie sie mich am Schlips zu sich zieht und mich frech anschaut...
´Versuche, dich davon zu lösen. Vielleicht steht sie gar nicht auf dich´, rede ich mir ein, um meine Nervosität zu vergessen.
Ich habe die Tür offen gelassen, damit ich sehen kann, wenn sie zurückkommt.
Es dauert eine Ewigkeit.
Was macht sie nur so lange, frage ich mich? Haut sie das Geld mit einem Anderen auf den Kopf? Ist der Speisewagen so voll? Hat der Kellner sie gekidnappt?
Alles sinnlose Fragen, aber ich wünsche mir so sehr ihre Rückkehr, dass ich ganz hibbelig bin.
Plötzlich beginnt der Zug zu bremsen, und ich werde gegen einen Bettpfosten gepresst.
´Mist!´ denke ich. ´Hoffentlich hat sie sich festhalten können - da draußen im Gang.´
Ja hat sie, erkenne ich, als ich ihre Hand am Türpfosten sehe, die krampfhaft versucht, den Körper zu halten, aber auch die beiden Weingläser nicht fallen zu lassen.
Es ruckelt noch einmal, und der Zug steht.
Die Schaffnerin flötet durch den Lautsprecher: „Bitte steigen sie noch nicht aus! Wir haben den nächsten Bahnhof noch nicht erreicht!“
Ich kann förmlich ihr breites Lachen vor mir sehen.
´Na hoffentlich geht das gut´, denke ich mir.
Als meine neue 'Freundin' es schafft, in der Tür zu stehen, sage ich mit einem einladenden Grinsen: „Du hast nicht gesagt, in welchem Abteil ich warten soll.“
Sie schließt die Tür, kommt langsam näher, stellt die Gläser und den Wein auf den Tisch und drückt mir das Wechselgeld in die Hand.
Sie tut dabei völlig unbeteiligt und macht mich mit dieser Art rasend in einem positiven Sinn.
Ich kann meine Augen nicht von Ihr lösen.
Aus dem Augenwinkel erkenne ich, dass sie meinen Schlips betrachtet und 'richte' selbigen, um ihr zu zeigen, dass ich ihren Blick gesehen habe.
Nun bin ich mit diesem Mann allein – allein in einem Schlafwagenabteil.
Innerlich tippe ich mir mit einem Finger an die Stirn und frage mich, ob ich noch ganz normal bin und entscheide mich spontan für ein „Ja“.
Dieser Mann ist es wert!
Allein die Art, wie er gerade seinen Schlips zurecht gerückt hat…
Mir schießen da schon wieder Gedanken durch den Kopf…
„Sehr geehrte Reisende! Aufgrund eines Lokschadens wird sich die Weiterfahrt um unbestimmte Zeit verzögern!“ Die Frauenstimme aus dem Lautsprecher hört sich aus irgendeinem Grund nicht wirklich bedauernd an.
Er sieht mich an, mit diesem Blick, der mich alles andere als kalt lässt.
Sehr konzentriert rücke ich die Weingläser zurecht, während er eine der beiden kleinen Weinflaschen öffnet und uns dann einschenkt.
Ich beobachte seine langen, schlanken, aber kräftigen Hände, die dann eines der Gläser anhebt, um es mir zu reichen. Und wieder prosten wir uns zu.
Über den Glasrand hinweg betrachte ich ihn.
Genießerisch lässt er den Wein mit halbgeschlossenen Augen in seinen Mund fließen, um kurz darauf ein wenig das Gesicht zu verziehen.
Mir geht es nicht anders.
„Nicht ganz Chateau Migräne“, sage ich. „Aber nahe dran. Der zweite Schluck schmeckt hoffentlich besser.“
Wir lachen uns an.
„Ich sitze jetzt auf deinem Platz, richtig?“ frage ich, und er nickt.
„Gut!“ sage ich. „Dann möchte ich, dass du meinen Koffer holst. Ich glaube, wir werden uns hier noch länger aufhalten.“
Dabei habe ich zwei Hintergedanken. Der eine davon ist, ihn in Bewegung zu sehen.
Mein Blick heftet sich auf seine breiten Schultern und seinen Knackarsch, als er das Abteil verlässt. Als er zurückkehrt und den Koffer über mir auf der Gepäckablage verstaut, steht er ganz dicht vor mir – und wieder rieche ich ihn.
Das verführt mich dazu, kurz die Augen zu schließen und an Reißverschlüsse und warme Haut zu denken.
´Nein, nein, nein!` ermahne ich mich innerlich. ´Noch nicht´, und öffne die Augen.
Er hat sich bereits wieder gesetzt, und ich erwische ihn dabei, dass er meinen Körper betrachtet, bevor sein Blick zu meinem Gesicht zurückkehrt.
Ich tue so, als hätte ich nichts gemerkt.
„Ich sehe was, was du nicht siehst – und das ist rot“, sage ich.
„Der Wein!“
„Falsch!“ sage ich und betrachte den weinroten Sitzbezug, der zwischen seinen leicht gespreizten Beinen zu sehen ist.
„Wenn du es errätst, hast Du einen Wunsch frei!“ sage ich und warte gespannt auf seine Antwort.