Im Nebel
Ein Threat, damit das Verhältnis zwischen öffentlichen und privaten Threats wieder passt. Eine Geschichte, die ich gestern Abend versprochen und angefangen habe, hat heute Morgen ihr Ende gefunden...
Die Kerze im Nebel
Der Physiker in mir nennt Nebel die Kondensation des Wassers in der gesättigten Luft. Mit Graecum denkt man eher an Nephele, die Wolke. Und die Chemiker haben überhaupt keine Phantasie. Sie stellen nur H2O in N2, O2 und Sonstigen Gasen fest. Pfui ohne die Seele der Materie zu hinterfragen. Ich hasse Chemie.
Kein Wissenschaftler ist in der Lage, die Stimmung zu beschreiben, die sich ausbreitet, wenn man früh, noch vor Morgengrauen, einsam einen Weg durch feuchte Wiesen gewählt hat. Wege haben Endpunkte, Kreuzungen und Ziele, die man im Nebel aus den Augen verliert. Man sieht die nächsten Meter, die nächsten Schritte. Man mag die nächsten Windungen des Weges sehen.
Angst habe ich vor den Kreuzungen. Hier brauche ich die Hand, die mich führt. Deine Hand, damit sich unsere Wege nicht trennen.
Daher nehme ich deine Hand, fasse sie fest, doch sanft und spüre die Wärme deiner Finger. Es gibt mir Sicherheit.
Wir nehmen die Farben wahr, die der Indian Summer links und rechts zeigt. Wir sehen die fallenden Blätter der Alleebäume in tausend Farben, während unsere Füße im Laub rascheln.
Ich spüre deinen Atem, wenn du näherkommst. Ich spüre die Gänsehaut deines Unterarms, der mich streifte.
Mein Arm zieht dich näher, näher zu mir. Die Hand gleitet am Bund deiner Jeans entlang und sucht den Weg, am Saum der Jacke vorbei zu deiner nackten Haut. Ich erschrecke, obgleich ich die Entdeckung genieße, wie Christoforo Colombo, als er vermeintlich Indien entdeckte.
Die Feuchte des Nebels spüren wir nicht.
Meine Hand gleitet ein wenig tiefer. Ich bin zu schüchtern, um ihr Platz zu verschaffen. Zu eng liegt der Bund der Hose an. Wer überhaupt hat Frauen je erlaubt, Hosen zu tragen?
Wir sehen den Nebel nicht einmal. Stattdessen hören wir den eigenen Atem. Ich atme schwerer, als du dich näher an mich drückst. Wir gelangen kaum noch voran. Die Schritte werden kürzer.
Der Nebel unserer Gedanken hingegen lichtet sich. Nun sehe ich dich und ein paar Meter des Weges. Und dann sehe ich ein Licht. Nein, es sind deine Augen, nachdem du dich mir zugewendet hast. Vor dir stehend, ziehen meine Arme dich zu mir. Stimmt nicht. Du ziehst mich, denn du überwindest meine Schüchternheit für mich. Nun sind es deine Hände, die ich auf meiner Haut spüre, an meinem Hosenbund. Deine Augen haben wieder dieses wissende lächeln, das ich so liebe.
Deine Haut wärmt meine Hände. Der Nebel ist vergessen, obgleich er uns einhüllt wie ein Mantel. Das Gras ist feucht, aber wir realisieren es nicht, als wir niedersinken und uns längst Haut an Haut durch die frische Wiese wälzen. Unsere Kleidung dient nur nach als Lagerstätte, auf der wir es uns bequem machten. Ein Nest auf der Wiese unter den Alleebäumen.
Ich schmecke deine salzigen Säfte. Du schmeckst nach mehr. Du machst süchtig. Während ich noch über deinen Geschmack und Geruch nachdenke, verknoten sich unsere Gedanken. Ich höre dein Stöhnen, aber kann aber deine offenen Augen nicht sehen, als du dich über mein Gesicht ergießt. Zugleich merke ich, wie mir meine Gedanken entgleiten. Ich sehe nur noch pralle Farben. Ich kann den Regenbogen im Nebel sehen, spanne mich an, atme schwer und weiß nicht, wie mir geschieht.
Du schaust mich an. Ich sehe dein Lächeln, deine melancholischen Augen vor meinem Gesicht. Mein Eiweiß klebt an deinen Lippen.
Wir ziehen uns an. Reden kein Wort. Dankbar nehme ich wieder deine Hand. Ich weiß, ganz gleich an welche Kreuzung wir noch gelangen, mit deiner Hand nehmen wir den Weg gemeinsam.
Lichtet sich der Nebel, mit dir an der Seite? Weit in der Ferne sehe ich ein Licht. Ein Flackern, welches Wärme bedeutet. Eine Kerze im Nebel.
Fragen über Fragen. Nun kann ich sie mir beantworten. Ich liege im Bett und habe Grippe. Das Husten fällt mir schwer und das Thermometer zeigt 39 Grad, während ich an das nasse Gras denke.
Aber du bist bei mir.