Starry, Starry Night
(Diese Thread und der Thread " Starry, Starry Night II. " wurden hier zusammen geführt - mods Kissi und magier)Nein.
Es ist kein Widerspruch, davon zu sprechen, dass es Kultur in den USA gibt. In den Jahren, in denen ich dort leben durfte, habe ich Kultur erfahren dürfen. Kleine private Zirkel veranstalten sogenannte House Concerts mit umherreisenden Musikanten. So hatten auch wir unseren kleinen elitären Zirkel und luden monatlich einen Künstler zu unseren Abenden ein.
So auch in diesem Oktober, vor langer Zeit. Gäbe es Bäume, so wäre es die Zeit, wenn diese ihr Laub verlieren. Aber in der Wüste gab es nicht viele solcher Gewächse und so lassen wir es einfach beim Oktober. Das Wetter wurde langsam erträglich; die Abende sogar angenehm. Unser Oktoberkonzert fand daher ausnahmsweise mal nicht in einer ausgeräumten Galerie, einem Wohnzimmer oder einer Autowerkstatt statt, sondern diesmal in meinem Garten.
Unser Star war Linda. Eine Irin, wie man sie sich malen würde. Wallendes, rotes Haar umrahmte eine grazile Gestalt mit kleinen Brüsten, welches sich allen Bestrebung gekämmt zu werden, hartnäckig widersetzt.
Als Linda an diesem Abend die Gitarre zur Seite stellte und den leider viel zu verhaltenen Applaus genoss, fiel mir auf, wie sie irgendwie melancholisch schaute. War dies auch eine dieser irischen Eigenarten? Das Iren eine gewisse angeborene Melancholie haben?
Langsam löste sich unser Zirkel auf. Linda begann, ihre Instrumente zu packen, während ich die letzten Gäste verabschiedete.
Linda und ich. Sonst gab es niemanden mehr. Dann meinte sie nur...
„I am hungry“.
Ich zweifelte. Sagte sie... sie hat Hunger? So etwas profanes? Es musste so sein. Linda schüttete die Sammelbox in eine Tasche, in der sich ihre Tagesgage befand. Und ich sah mehr als nur diese Melancholie. Ich sah das Flehen, geliebt und anerkannt zu werden. Ich sah Zerbrechlichkeit, Schüchternheit, Unsicherheit und den Wunsch, nur eine Nacht vergessen zu können. Auch den Hunger. Oder irrte ich? Spielte mir meine Einbildung einen Streich?
Ist das irisch?
Es bedarf keiner weiteren Worte. Ich nahm ihre Hand und führte sie einfach ins Haus. Sie ließ es geschehen. Sagte nichts; streubte sich nicht einmal. Aber ich spürte, ich darf diese zerbrechliche Rose in meiner Hand nicht knicken. Plötzlich hatte ich Angst vor der eigenen Lust und der Befürchtung, dass eine Nacht oder nur ein einziges Wort uns beide brechen könnte.
Wir kamen nicht bis zum Schlafzimmer.
Als wir an der offenen Tür meines noch längst nicht eingerichteten Arbeitszimmers vorbei kamen, stockte sie. Irgendetwas zog sie in dies leere Zimmer. Linda übernahm die plötzlich die Führung. Sie fasste meine Hand und zog mich in dies Zimmer. An einer Wand lehnt ein billiger Kunstdruck eines von Goghs.... Starry Night.... Eigenartig und wie nicht von dieser Welt wirkte dies Bild im Schein des Vollmondes.
Linda und ich sanken nieder. Seite an Seite lehnten wir sitzend an der gegenüberliegenden Wand. Meine Hand ruhte in ihrer. Ganz sanft fasste sie zu, streichelte meinen Arm und ebenso sanft seufzte sie, als sie meine Gänsehaut spürte.
Irgendwann mussten wir so eingeschlafen sein.
Am nächsten Morgen war Linda weg. Und mit ihr das Bild. Hatten wir Sex? Ich glaube nicht, aber ich weiß es nicht. Konnte man vergessen, ob es geschah.
Ein Hauch ihres Parfums war die einzige Spur, die sie in meinem Haus hinterließ. Dieser schwere Duft brannte vernetzte meine Neuronen neu. Ewig werde ich es riechen und nie werde ich wissen, was geschah.
Jahre später – ich hatte Linda fast vergessen – brachte ein Paketdienst ein großes, flaches Paket, dass ich sofort öffnen musste. Ich erkannte es sofort wieder. Es war „mein“ van Gogh. Nun jedoch war er gerahmt. Als ich das Bild aufhängen wollte, fiel mein Blick auf einen zarten Schriftzug auf der Rückseite:
„Thanks... for having back my life.“
Seit jenem Tage warte ich darauf, dass Linda wieder in die Stadt kommt und ich sie wiedersehe. Ich warte noch heute.