19. Dezember
Von drauß vom Walde komm ich her
Es ist der 24. Dezember, später Nachmittag und ich bin richtig müde. Wieder einmal ist bei der Arbeit jemand ausgefallen, wieder einmal bin ich eingesprungen. Mein Urteil über mich selbst schwankt zwischen „zu gut für diese Welt“ und „schön blöd“. Bis ich endlich zuhause bin, immer noch unentschlossen, ist das dann eigentlich auch egal.
In meinem müden Kopf tummeln sich Fetzen der gerade gehörten Weihnachtslieder („Heute, Kinder, wird’s was geben...“) und die Bilder der letzten Stunden: gerötete Wangen und strahlende Gesichter, der fast versalzene Gänsebraten, der Wutausbruch einer genervten Kollegin. Doch jetzt brauche ich Zeit für mich. Die Einladung meiner Freundin, den Weihnachtsabend zusammen mit ihr und ihrer Familie zu verbringen, habe ich ausgeschlagen. Natürlich hat sie es gut gemeint, aber danke nein, glätte ich die Wogen am Telefon, so wie es aussieht, werde ich wahrscheinlich sowieso arbeiten die nächsten Tage. Kaum zuhause, falle ich völlig erledigt ins Bett und schlafe zwei Stunden tief und traumlos.
Gepolter im Hausflur und laute Kinderstimmen wecken mich kurz nach 18 Uhr. Direkt über meinem Schlafzimmer galoppiert eine Horde Bisonbabys, die sich mit spitzen Schreien gegenseitig zu übertrumpfen suchen. Mit Blick an die Decke stelle ich mir vor, was die Gören ein Stockwerk höher wohl gleich alles auspacken dürfen, und ob sich der dicke Mann, der mich ab und zu im Hausflur verschämt grüßt, wohl als Weihnachtsmann verkleidet hat. Die Vorstellung, wie er seinen voluminösen Bauch in einen roten Mantel aus Filz zwängt und über die abspringenden Knöpfe flucht, ringt mir dann doch ein Lächeln ab.
Ich quäle mich aus dem Bett und beschließe, den restlichen Abend mit einer Tüte Chips vor dem Fernseher zu verbringen. Ich werfe mich in meine heißgeliebte Jogginghose, die mit den Farbklecksen, die beim Waschen nicht mehr rausgehen, und in ein geblümtes schwarzes Shirt, in dem mich ganz sicher noch nie jemand gesehen hat. Ich schalte die bunte Lichterkette am Fenster an – ein kleines bisschen Weihnachten muss dann doch sein, selbst für mich. Dann mache ich es mir mit einem Tee auf dem Sofa bequem. In der Flimmerkiste tritt mein Lieblingscomedian das Thema Weihnachten breit, im roten Rocker-Outfit und Rauschebart. Ich entspanne mich zusehends.
Auf dem Höhepunkt der Lachsalven-Parade klingelt es an der Tür. Ich schalte den Fernseher leiser. Habe ich mich verhört? Nein, es klingelt erneut. Ich rapple mich hoch. Irgendjemand muss sich mit dem Klingelschildern vertan haben, ich erwarte jedenfalls niemanden. Alle meine Freunde verbringen Heilig Abend entweder bei Muttern oder mit ihren Kindern im Kreis ihrer Familien. Das passt mir jetzt wirklich gar nicht! Doch der späte Besucher ist hartnäckig: Jetzt klingelt es Sturm.
Ich gebe mich geschlagen und gehe zur Sprechanlage an der Haustür: „Hallo?“
„Hohoho! Von draußen vom Wald komm ich her, ich muss euch sagen, es … „
Es rauscht und klappert am anderen Ende, dann ein Poltern. Ich höre jemanden fluchen.
„Hallo? Zu wem wollen Sie denn?“
„Oh, hallo, ich suche Familie Andres... können Sie mir freundlicherweise die Tür aufmachen?“
Den Namen habe ich noch nie gehört. Trotzdem tue ich ihm den Gefallen und drücke auf den Summer. Ist ja schließlich Weihnachten. Kaum habe ich es mir wieder gemütlich gemacht, klopft es energisch an meiner Haustür. Seufzend stehe ich auf und gehe in den Flur, um die Tür zu öffnen.
Vor mir steht der Weihnachtsmann, ganz in Rot. Zugegeben, er sieht etwas ramponiert aus: der weiße Bart hängt schief um die Kinnpartie, der rote Mantel hat schon ein paar Flecken abgekriegt, die Hose an den Knien ist nass und zerrissen. Er sieht mich so zerknirscht an, dass ich laut lachen muss.
Attraktiver Mann, denke ich sofort. Er ist etwa in meinem Alter, die dunklen Haare schon etwas angegraut, auch in seinem Drei-Tage-Bart sind graue Stoppeln zu sehen. Die rote Verkleidung ist ihm mindestens zwei Nummern zu groß.
„Haben Sie sich in der Tür geirrt?“
„Ähm ja,“ er mustert mich eingehend mit dunklen Augen, „kann man so sagen. Ich war auf Tour, hatte ein paar Aufträge heute Abend, aber die letzte Adresse war unauffindbar. Nachdem ich mich dann völlig verfahren hatte, bin ich jetzt ohnehin schon viel zu spät dran. Und jetzt ist mir auch noch die Kiste stehen geblieben und springt nicht mehr an.“
Während er spricht, nestelt er an seinem weißen Bart, und nimmt ihn schließlich ganz ab. Dann lächelt er breit. Seine Augen schimmern grünlich unter den buschigen dunklen Augenbrauen, die Nase ist ein wenig groß geraten für das schmale Gesicht.
„Da ich mein Handy nicht aufgeladen hatte, hab ich jetzt ein Problem,“ fährt er fort.
Ich bin so damit beschäftigt, ihn anzustarren, dass ich auf seine unausgesprochene Frage zunächst gar nicht reagiere. Dann wird mir klar, dass er mich gerade um Hilfe gebeten hat.
„Oh, ich verstehe ... ja klar, kommen Sie doch rein. Möchten Sie vielleicht auch einen Tee?"
„Das ist echt nett von Ihnen,“ sagt der Mann in Rot, und sieht sich in meiner kleinen Küche um. „Übrigens: ich heiße Matthias. Wir müssen uns aber nicht siezen, oder was meinst du?“
Meine Wangen werden heiß, als ich ihm die Hand reiche: „Ich bin Anne.“
Sein Händedruck ist fest, und sein Lächeln Herz erwärmend.
„Wenn ich mal dein Telefon benutzen dürfte...?“
Wir sitzen in meiner kleinen Küche an dem schiefen Holztisch. Er wärmt seine Hände an der dampfenden Tasse und erzählt mir von seinen Auftritten bei diversen Familienfesten. Mit beiden Händen gestikulierend, reiht er Anekdote an Anekdote. Wir lachen und reden, als würden wir uns schon sehr viel länger kennen. Schließlich gehen wir zu Glühwein über.
„Hübsches Shirt übrigens.“ Jetzt zwinkert er mir frech zu.
Ich blicke an mir herunter, auf mein verwaschenes T-Shirt, das über und über mit bunten Rosen bedruckt ist, und muss lachen. „Du nimmst mich auf dem Arm!“
Er schüttelt lächelnd den Kopf. „Nein, nein, wirklich, ich mag Frauen in Freizeitkleidung!“
Ich kann den Blick kaum von seinen Lachfältchen um die Augen abwenden.
Auch ihm ist das nicht verborgen geblieben. Er grinst in sich hinein, bevor er fortfährt: „Es gefällt mir, wenn Frauen, sagen wir mal, etwas natürlicher aussehen."
„Na, da habe ich aber Glück gehabt,“ lache ich und werfe eine Schokoladenkugel nach ihm.
Nach einer weiteren Stunde frage ich Matthias, ob er noch etwas trinken will, ohne mir sicher zu sein, ob ich noch etwas im Haus habe. Als ich mit einer Flasche lauwarmen Sekt zurückkomme, lehnt er am Kühlschrank. Er hat die rote Jacke ausgezogen, sie hängt lässig über der Lehne des Küchenstuhls. Das schlichte graue Shirt betont seinen muskulösen Oberkörper. Mit der Flasche in der Hand bleibe ich im Türrahmen stehen.
„Dir ist es wohl zu warm geworden...?“ frage ich und kann mir ein übermütiges Kichern nicht verkneifen.
Er schaut mich nur an, im rechten Mundwinkel ein feines Lächeln. Dann geht er einen Schritt auf mich zu. Seine Hand streift dabei die meine, und in diesem Moment wird mir so heiß, dass mir der Schweiß ausbricht. Sein intensiver Blick geht mir unter die Haut. Ich möchte am liebsten sofort mein Shirt ausziehen und meine Brüste an ihn pressen.
Als ob er meine Gedanken lesen könnte, nimmt er mir die Flasche aus der Hand und zieht mich an sich. Sein heißer Atem streift meinen Nacken, ich spüre seinen Herz laut schlagen. Wir küssen uns, er öffnet sanft meine Lippen, seine Zunge spielt mit mir, weich und zart. Er schmeckt ein wenig nach Nelken und Wein. Seine Hände haben den Weg unter mein T-Shirt gefunden, legen sich um meine Brüste. Ich stöhne leise, als seine Finger meine harten Brustwarzen berühren. Als Antwort darauf drückt er seine Hüften enger an meine. Ich kann nicht anders, ich muss ihn einfach anfassen.
Nach und nach fallen die Kleidungsstücke, und er drängt mich ins halbdunkle Schlafzimmer. Auch er ist jetzt nackt, und er betrachtet mich genussvoll, liebkost meinen weichen Bauch und gleitet tiefer. Seine Finger schieben sich zwischen meine Schenkel und tauchen ein in die feuchte Hitze, umrunden zart die Perle. Drehen Pirouetten auf meinen Blütenblättern. Mein Stöhnen kommt tief und unkontrolliert aus dem Bauch. Ich fühle mich, als würde ich sofort explodieren. Zwischen ein paar Küssen, blickt er mir tief in die Augen, während seine Eichel zärtlich über meine klitschnassen Lippen fährt.
Dann endlich taucht er ein, langsam und genüsslich erforscht er mein Inneres. Ich kann es kaum noch aushalten, will ihn tiefer in mir, bewege meine Hüften kreisförmig, schließe meine Liebesmuskeln enger um seine Männlichkeit. Unser Rhythmus wird schneller, wir schaukeln höher und höher, treiben weit hinaus, bis der Orgasmus wie eine riesige Welle über uns zusammenschlägt.
Geflutet liegen wir eng aneinander geschmiegt. Ich muss an seiner Schulter kurz eingeschlafen sein. Plötzlich einsetzende Weihnachtsmusik reißt mich aus meinen Träumen: „Oh, du Fröhliche...“
Schiefe Kinderstimmen von oben dringen undeutlich an unsere Ohren. Sehr langsam komme ich in die Realität zurück und öffne die Augen: Der Weihnachtsmann liegt neben mir und lächelt mich an.
Er löst sich langsam von mir und öffnet die Sektflasche, stellt zwei Gläser neben das Bett. Wir prosten uns zu. Seine Augen leuchten im Licht der kleinen Lampe, die neben dem Bett steht.
Genießerisch fährt er mit der Hand zwischen meine Beine, um sich dann meinen Saft vom Finger zu lecken. Ich spüre meinen Körper kribbeln, und kann es kaum erwarten, wieder von ihm angefasst zu werden. Langsam drehe ich mich zu ihm um, lege meinen Kopf auf seinen Bauch, grabe meine Nase in all das duftende Haar.
Plötzlich fällt mir wieder sein Auto ein.
„Sag mal, hattest du nicht den ADAC angerufen? Das muss doch schon Stunden her sein...“
Keine Antwort.
Ich hebe den Kopf, um ihn anzusehen.
Er sieht mir in die Augen und lächelt.
Nein, er grinst.
Èr lässt sich alle Zeit der Welt, bevor er schließlich antwortet:
„Ich habe gar kein Auto...“
2014 - Into