In the Heat of the Night – Ein Sommerfest
Kea, Teil 1
Eau de Villa
Irgendetwas Ungewöhnliches lag hier in der Luft. Das war Charlotte gleich zu Beginn des Abends aufgefallen. „Was ist das bloß“, überlegte sie und schloss für einen Moment die Augen, um sich ganz auf ihre Nase konzentrieren zu können. Sie wusste, man konnte sich spezielle Düfte für Räume zusammenstellen lassen: Raffinierte Kompositionen, die einen bestimmten Zweck erfüllen und Menschen auf subtile Weise beeinflussen sollten: Den Geruch des Meeres für Reisebüros. Oder den von edlem Leder für Autohäuser. Kleine psychologische Anschläge auf die Sinne, um die Kauflaune zu steigern. Gab es vielleicht auch Duft-Cocktails, die ganz andere Wirkungen erzielten? Die dazu dienten, aus eigentlich einigermaßen kultivierten Menschen die animalische Geilheit hervorzulocken?
Langsam hielt sie das nicht mehr für ausgeschlossen. Allerdings stammte dieses „Eau de Villa“ ganz sicher nicht aus einem Labor. Es war eine eigenwillige Kreation aus den edlen Parfüms einiger Gäste und dem Aroma der frischen Erdbeeren auf dem Buffet. Aus Sommerdüften, die durch die hohen, geöffneten Rundbogen-Fenster herein wehten: Rosen und Jasmin und der schwere, erdige Geruch der Beete, die nach einem nachmittäglichen Regenschauer noch Feuchtigkeit atmeten. Und aus Begierde. Das vor allem. Obwohl explizites Vögeln noch gar nicht auf dem Programm stand, strich das Aroma männlicher und weiblicher Lust durch alle Räume. Trieb sich in den Ecken herum, kroch unter den Türen hindurch und schwebte über den Möbeln. Ein feiner, unsichtbarer Nebel aus Lockstoffen - von der Natur entwickelt, um die Menschheit um den Verstand zu bringen. Und kein Zweifel: Es wirkte.
Sie brauchte sich ja nur umzusehen. So viele Männer und Frauen, denen die pure Gier aus den Augen leuchtete! Hände auf vertrauter Haut und auf fremder. Stumme Herausforderungen, pure Koketterie. Blicke, die in Dekolletés versanken oder lasziv über deutlich ausgebeulte Hosen strichen. Schenkel, die sich aneinander rieben. Säfte, die zu fließen begannen. Die Luft vibrierte, die Hitze nahm zu. Und sie selbst konnte sich der schwül-sinnlichen Stimmung genauso wenig entziehen wie alle anderen.
Am liebsten hätte sie auf der Stelle die Knöpfe ihres dünnen Sommerkleides bis zur Taille geöffnet. Hätte den feinen, schwarzen Stoff mit den dunkelroten Rosen von ihren nackten Brüsten rutschen lassen. Den Rock bis über den Spitzen-Rand ihrer Halterlosen hochgeschoben, um allen zu beweisen, dass sie sich an die Kleidungsempfehlung „slipless“ gehalten hatte. Und sich dann halbnackt und zitternd vor Wollust auf dem weißen Damast-Tischtuch des Esstischs geräkelt, bis fremde Hände sie berührten…
Mit einem lüsternen Seufzen ließ sie sich auf eines der bequemen Sofas sinken und nippte kopfschüttelnd an ihrem Wein. Was war bloß los mit ihr? Woher kam diese aufgegeilte kleine Nymphe, die sich immer weiter aus ihren dunklen Tiefen an die Oberfläche kämpfte? Vielleicht konnte der kühle Rosé ihre Selbstbeherrschung ja noch um ein paar Minuten verlängern…
Ein dunkles, kehliges Lachen schwebte aus dem Nachbarraum durch die Tür. Kein Zweifel: Nina! Charlotte kannte sonst niemanden, der so viel puren Sex in ein Lachen legen konnte wie sie. Die Frau, der sie die Einladung zu diesem Fest verdankte. Nina war eine Kollegin, mit der sie sich von Anfang an gut verstanden hatte. Irgendwann hatten sich ihre Mittagspausen-Gespräche in eine sehr intime Richtung entwickelt, und Charlotte hatte mit großen Augen und einer guten Portion Neid zugehört, wie Nina von ihren sexuellen Abenteuern berichtete. Zusammen mit ihrem Mann und ihrem Geliebten bildete die Kollegin das berüchtigte „Trio Furioso“, das sich gemeinsam in wilde Ausschweifungen stürzte und ein gern gesehener Gast auf erotischen Privat-Partys war. Charlotte hatte nicht so recht gewusst, ob all diese Eskapaden tatsächlich stattgefunden hatten oder der blühenden Fantasie der Erzählerin entsprungen waren. Bis Nina sie eines Tages gefragt hatte, ob sie nicht einmal mitkommen wolle. Sie könne das arrangieren.
Und nun war sie hier. Freundlich, beinahe liebevoll war Charlotte in diesen Kreis aufgenommen worden. Hatte vorzüglich gegessen, eine Kleinigkeit getrunken, geplaudert, geflirtet und gelacht. Es hatte keine halbe Stunde gedauert, bis ihr klar war, dass Nina tatsächlich nicht übertrieben hatte: Diese Welt aus Lust und Laster war kein Fantasiegespinst! Oder wenn es eins war, dann woben alle Anwesenden hier kräftig daran mit. Wie 29 Seidenraupen, die pausenlos erotische Fäden spannen, um Charlotte darin einzuwickeln. Und wie gut ihnen das gelang! Es war ihr ein bisschen unheimlich. Doch sie war sich jede Minute bewusst gewesen, wohin dieser Abend und diese Nacht steuern würden. Hoffentlich! Genüsslich lehnte sie sich in ihrem Sofa zurück und trank noch einen Schluck Wein.
Das erste männliche Wesen, das sich ihr näherte, besaß allerdings goldene Augen und vier Pfoten. Der Kater des Hauses hatte beschlossen, ein paar Streicheleinheiten einzufordern und ließ sich schnurrend auf ihren Oberschenkeln nieder. Lächelnd fuhr sie mit der Hand über das glänzende, schwarze Fell, schloss für einen Moment träumerisch die Augen und lauschte dem leisen Klavierspiel, das aus einem der benachbarten Räume tönte. Einer der Gäste beherrschte die Tasten wirklich ganz hervorragend…
„Dieser aufdringliche Kerl hat einfach keine Manieren“, raunte es plötzlich dicht neben ihrem Ohr. Erschrocken riss Charlotte die Augen auf und schaute in das amüsierte Gesicht eines Mannes. Attraktiv, Ende 40, kurze, schwarze Haare, grün-braune Augen. Und offenbar den Schalk im Nacken. Roland! Der Geliebte aus dem Trio Furioso. Anklagend wies er auf den Kater auf ihrem Schoß: „Wieso sitzt der ausgerechnet da, wo ich schon den ganzen Abend meine Hände haben möchte?“
Charlotte lachte. „Tja, wer zu spät kommt...“ Weiter kam sie allerdings nicht. Denn Roland setzte sich neben sie und tat etwas, das sie zu ihrer eigenen Überraschung mitten zwischen die Beine traf. Obwohl er sie nicht einmal berührte. Aufreizend langsam und sanft strichen seine Finger über den Katzen-Rücken. Doch sein durchdringender Blick hielt ihren gefesselt und sein provokantes Lächeln ließ keinen Zweifel daran, wem die Zärtlichkeit eigentlich galt. Dass er nur darauf wartete, mit seiner Hand unter ihr Kleid zu fahren, die Wärme ihrer Haut zu erkunden, mit ihrem Verlangen zu spielen. Sanftes, aber bestimmtes Streicheln, selbstsicher und mit dem Versprechen auf mehr. Viel mehr… Charlotte verstand selbst nicht so ganz, warum sie diese kleine Geste dermaßen erregte. Doch sie hatte das Gefühl, als würden elektrische Funken aus dem Katzenfell sprühen. Als müsse sie sich gleich selbst schnurrend unter seinen zweifellos geschickten Händen winden...
Vorsichtig schob sie den Kater beiseite. Mit einem indignierten Blick aus gelben Augen sprang er vom Sofa und stolzierte beleidigt davon. Rolands Hände hatten freie Bahn. Ohne den Blickkontakt zu unterbrechen, wanderte seine Rechte an ihren Hals, spürte ihren jagenden Puls. Die Linke legte sich mit einer fast besitzergreifenden Geste auf ihren Venushügel. Oberhalb des Stoffs. Ihr Atem ging schneller, unwillkürlich spreizte sie ein wenig die Beine. Doch die Finger verharrten. Bewegten sich nicht. Nur seine Handfläche agierte. Drückte zu und ließ nach, immer im Rhythmus ihres eigenen Herzschlags. Charlotte keuchte. Sie wusste genau: Wenn er nur noch eine Winzigkeit weiter ging, wenn er jetzt anfing, sie zu befummeln, wäre es vorbei mit der Contenance. Und sie war nicht sicher, ob die Etikette des Abends das für diesen Zeitpunkt schon vorsah. Noch immer sah oder hörte sie keine Anzeichen dafür.
Sehr wohl aber registrierte sie, dass einige der anderen Gäste sich inzwischen umgezogen hatten. Ob jetzt der richtige Moment war, sich auch selbst in das deutlich gewagtere Outfit zu werfen, das sie mitgebracht hatte? Wie als Antwort begann die alte Uhr zu schlagen, die in einer Ecke des Raumes stand. Zwölf satte, melodische Töne - Zeit, die Geister der Wollust zu beschwören... Sie grinste und stand mit einer fließenden Bewegung auf. Tauschte einen letzten vielsagenden Blick mit Roland: Ein wortloser Pakt für die Nacht, den sie bis zum letzten verdorbenen Paragrafen erfüllen würden. „Entschuldige mich bitte einen Moment“, sagte sie lächelnd. „Ich muss mal eben mein inneres Luder rauslassen“.
© Kea2012, Juni 2017